
LeidenschaftlichLeben!
Spieglein, Spieglein-
Das Aktshooting
Schon lange hatte ich mir ein Fotoshooting gewünscht.
Ich hatte viele Ideen und wollte mich und meinen Rollstuhl bewusst in Szene setzen. Da ich häufig, aufgrund meiner zierlichen Statur, Anfragen von dominanten Männern, die mich unterwerfen wollten, bekam, war es mein Ziel, dieses Klischee „Behindert ist gleich Devot“ auszuhebeln.
​
Bild Nummer 1: Ein attraktiver, wenig begleideter Mann trägt mich in einem schönem Abendkleid zu einem Himmelbett, das von Kerzen umrandet ist. (Ja, die Vorstellung ist schon ein bisschen kitschig, aber spiegelt den Wunsch der Anerkennung meiner Weiblichkeit wieder. Welche Frau will nicht auf Händen getragen werden?)
Bild Nummer 2: Mein Rollstuhl hat einen edlen Bezug und ich trage ein luftiges Kleid aus fast transparentem Stoff. Ich trage goldene Armreifen und eine Hochsteckfrisur. Mein Rollstuhl sollte wie mein Thron wirken. Hinter mir standen rechts und links schlanke aber muskulöse Männer in der Rolle meiner Leibwachen. Gegen einen sexy Diener hatte ich auch nichts einzuwenden.
​
Bevor ich aber zu diesen Shootings kam, musste ich erstmal einen Fotografen und ein passendes Model finden. All jene Männer, die optisch meinen Vorstellungen entsprachen, waren schwer zu finden, nicht an Shootings interessiert oder kniffen. Wenn ich meine Erwartungen runter schraubte und Männer ausblendete, blieb ich mit verführerischen Kleidern und Dessous übrig. Sie sollten erotisch sein, aber möglichst doch alles bedecken.
Ich wollte nicht, dass man meinen knochigen Körper, den herausstechenden Rippenbogen und meinen durch die Skoliose verschobenen Oberkörper sah. All das sollte durch den Stoff kaschiert und bestenfalls verdeckt werden. Es war für mich schon Überwindung, wenn die Männer mich komplett auszogen und nackt sahen.
Ich erhielt von einem Fotografen ein sehr nettes Angebot. Er hatte mein Profil komplett gelesen und wusste, dass ich im Rollstuhl saß.
Die meisten Fotografen reagierten auf diese Info so, dass sie das Thema „Behinderung und Diskriminierung bzw. Ausgrenzung“ gerne darstellen wollten. Bei diesen Worten verlor ich meisten die Lust auf die Zusammenarbeit.
Aber der neue Fotograf ging gar nicht auf das Thema Behinderung ein. Er gab mir nur die Info, dass es zu seinem Studio einen kleinen Absatz gebe. Ich schaute mir seine bisherigen Bilder an und war begeistert, denn es waren sehr stilvolle, erotische Bilder. Sie wirkten für mich respektvoll und zeigten die Ästhetik des menschlichen Körpers. Ich sagte ihm zu, obwohl ich ziemlich nervös war.
​
Wir trafen uns ein paar Tage später in seinem Studio. Seine Frau, eine professionelle Fotografin, saß im Büro und arbeitete auch an einem Fotoprojekt. Das beruhigte mich, denn so merkte ich, wie professionell die beiden waren.
Bei einer Tasse Tee begann unser Gespräch.
​
"Welche Körperstellen magst du und welche nicht?"
Ich war etwas überrumpelt und antwortete zögernd. "Ich mag meine Augen und meine Haare..." Er ließ mir Zeit und so ergänzte ich: "Meine Brüste sind auch ganz süß." Etwas verlegen lächelte ich ihn an. "Und ich mag meinen Venushügel."
Langsam wurde ich entspannter und ratterte meine Liste an meinen Makeln herunter.
"Gibt es eine Körperstelle, die du nicht wirklich wahrnimmst?"
Ich überlegte einen Mmoment: "Meinen Hintern! Ich sitze den ganzen Tag darauf, er trägt mich seit Jahren. Aber ich habe ihn noch nie gesehen."
Der Fotograf lächelte: "Gut, dann haben wir einen Plan. Ist es für dich denn möglich außerhalb des Rollstuhls Fotos zu machen?" Das war es, aber ich wollte lieber Fotos mit Rollstuhl.
Nachdem ich den TFP- Vertrag (beide, Fotograf als auch Model arbeiten kostenlos. Der Frotograf hat aber die Bildrechte) unterschrieben hatte, begannen wir sofort mit den Aufnahmen in seinem Studio.
Ich hatte zwei Taschen mit Dessous und sonstigem Equipment. Er schüttelte kurz mit dem Kopf: "Wenn du mit Dessous anfängst, bist du die ganze Zeit nervös. Es ist besser mit Akt anzufangen und dann wieder etwas anzuziehen."
AKT? Das hatte ich nicht geplant. Ich starrte ihn kurz entsetzt an. Ich wollte doch Dessous Fotos. Aber dann erinnerte ich mich an seine schönen Fotos und ließ mich von meiner Assistentin ausziehen. Ich war etwas verkrampft, vorallem als er die Scheinwerfer auf mich richtete. Ich legte mich in meinem Rollstuhl, da das die entspannteste Position für mich war.
​
„Kannst du deinen Arm noch ein bisschen höher machen?“, fragte er.
„Nicht alleine, du kannst sie positionieren, wie du es möchtest“, antwortete ich.
​
Am Anfang war es total komisch nackt vor einem fremden Mann zu sein, der weder Doktor oder Pfleger war und mit dem ich auch nicht schlafen würde. Ich fühlte mich irgendwie unwohl nicht wegen ihm, sondern wegen meiner Nacktheit und meinem Körper.
Ich erinnerte mich wie ich als Kind von einem Professor während seiner Vorlesung Medizinstudenten vorgeführt wurde: „Die Anomalie des Gebisses ist ein häufiges Merkmal für SMA. Die starke Deformation des Oberkörpers ist eine Folge einer Skoliose, die eine Folge der wenig ausgeprägten Rückenmuskulatur ist.“ Ich war oft untersucht worden und musste häufig zum Röntgen und immer war es die gleiche Prozedur. Alle Auffälligkeiten wurden vermerkt und analysiert. Dadurch wurde der Körper zu Daten und Werten, die man mit anderen vergleichen konnte.
Meist konnte ich mir von meinen Eltern anhören: „Schau mal, die sitzt viel aufrechter als du.“ oder „Er ist viel muskulöser als du“ oder „ Ihre Füße sind viel gerader als deine, toll.“ Immer diese Vergleichswerte.
​
Ich schob die Gedanken bei Seite. Jetzt war ich hier und es ging nicht um eine neue Katalogisierung, sondern um die Entstehung des Abbildes meines Selbst.
Der Fotograf schob meine Hand auf meinen Bauch, trat ein paar Schritte zurück und begann erneut Fotos zuschießen.
„Kannst du den Bauch einziehen“?
Meine Assistentin und ich mussten loslachen. Diesen Satz hatte ich im Leben noch nie gehört. Ich war 160 cm und wog 26 kg. Ich hatte gerade mal die 13 Prozent lebenswichtigen Fettanteil. Ich versuchte irgendwie meinen Bauch anzuziehen. Aber ich war ein völliger Amateur.
​
Der Fotograf schaltete seinen Heizlüfter höher. Langsam wurde sein Studio warm. Auch meine anfängliche Scharm war inzwischen verschwunden. Da er wusste, dass ich noch nie meinen Po gesehen hatte, drehte mich meine Assistentin im Rollstuhl auf die Seite. Es war eine fast gemütliche Position. Ich musste nichts machen, einfach nur da sein. Der Fotograf erledigte den Rest.
​
Als ich wieder auf dem Rücken lag und merkte, dass er mein Gesicht fokussierte und versuchte verführerisch, tiefsinnig und charmant zur gleichen Zeit zu wirken. Noch während er Fotos machte, merkte ich, dass ich gekünstelt wirkte und diese Eigenschaften zwar gerne vermittelt hätte, aber in dem Moment nicht fühlte.
​
Über mir hingen Spiegel an der Decke, sodass ich mich sehen konnte. Lange sah ich mir in die Augen. Dann betrachtete ich meinen Körper. Ich war plötzlich stolz irgiendwie auf ihn. Er hatte schon vieles mit mir überstanden. Ich hatte ihm viel abverlangt und schenkte ihm wenig Aufmerksamkeit. Mein Blick wanderte langsam von meinem Bein wieder über meinen Bauch und über meine Brüste bis hin zu meinem Gesicht. Ich konnte in meinen Augen meine Rührung und Dankbarkeit erkennen. Auch sah ich in meinen Augen meine Lachfältchen und musste lächeln.
Was immer die Kamera jetzt sah, war echt.
​
An dem Abend setzte ich mich alleine in mein Zimmer, schaltete schöne Musik ein und sah mir die Bilder an. Beim ersten Durchgang war ich immer noch etwas verstimmt. Das schöne zufriedene Gefühl war schon wieder verblasst. Aber mit jedem Durchlauf entdeckte ich Stellen, die mir gut gefielen. Meine Haare, meine langen Wimpern, meine Nasenspitze..... Sie wurden immer mehr, sodass zum Schluss mein gesamter Körper auf mich schön wirkte. Ich dachte an die Worte des Fotografen:
„Das bist du. Mit allen Ecken, Kanten und Makeln. Das bist du und das ist authentisch. Das ist echt.“
​
Ich merkte, dass meine Fotoideen mit den Männern und schönen Dessous Inszenierungen waren. Man benutzte verschiedene Kleidung und Gegenstände, um etwas auszudrücken oder darzustellen, aber bei einer Aktfotografie gab es nichts zu verstecken. Man war einfach man selbst. Ungeschönt, aber authentisch. Tränen der Rührung liefen über meine Wangen. In meiner Wortwahl änderte sich etwas. Es war ein Satz, den ich plötzlich nicht nur sagen, sondern auch fühlen konnte.
​
Ich bin eine schöne Frau.
​
***
​
Lust auf mehr?
Mein Buch ist noch in Arbeit.
Möchtest du informiert werden, sobald es fertig ist?
​